Der Schatten eines einsamen Baumes

Der Schatten eines einsamen Baumes

(Henrik Lode)

Anthologie: „3. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2017“

Langsam öffnet der Festivalbesucher die Augen, dreht sich, hustet, schläft wieder ein. Minuten darauf das Gleiche von vorn – Erwachen, Drehen, Abdriften. Es dauert seine Zeit, bis die Trance vergeht – mühsam umwinden sich Schläfer und Schlafsack.

Als die Sonne den Waldrand übersteigt, strömt Hitze ins Zelt. Der Erwachte kriecht samt Bettstatt nach draußen, legt sich zurück in den Schatten. Kühlende Erde, ein leichter Wind, die Bühnen in der Mittagspause. Nur die Verdauung bleibt in Gang.

Vor den mobilen Toiletten herrscht Stau. Geplagt tritt der Besucher ans Ende der Schlange, hält sich den Unterleib. Die Gesichter der Abziehenden lassen Schlimmes erahnen.

Endlich ist er an der Reihe. Im Inneren der Kabine ein übler Geruch, dazu Ausscheidungen und Unrat, wohin man schaut. Zumindest der Türriegel ist noch undekoriert.

Ein Berg aus Fäkalien erhebt sich über der Brille. Vorsichtig erklimmt der Besucher das Klo, verrichtet sein Geschäft in Skifahrerhocke. Knie und Kreislauf kurz vorm Crash, von Papier oder Ähnlichem keine Spur.

Taumelnd verlässt er die Toilette. Der Weg zurück zum Waldrand ist weit – zu weit für den Moment – und so liegt der Besucher alsbald im Grase, den Kopf auf der Hand, verborgen im Schatten eines einsamen Baumes.


veröffentlicht in:

„3. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2017“
ISBN 978-3743970373
(Oktober 2017)
© Christoph-Maria Liegener (Hrsg.)